AG3 MMK 2017

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AG3 - Technikferne User - ein Tabu?

Moderation: Dorothea Erharter, Wolfgang Harst

Positionspapiere von GruppenteilnehmerInnen bitte unten einfügen oder verlinken


Moderationspapier von Wolfgang

Gedanken zum Thema "Technikferne User - ein Tabu"?

Bei meinen verschiedenen Tätigkeiten habe und hatte ich immer wieder mit Menschen zu tun, die ich als "technikfern" bezeichnen könnte. Mich interessiert jetzt, ob ich da verschiedene Gruppen ausmachen kann, ob und wie ein Leidensdruck mit der Technikferne verbunden ist und wie der sich, so vorhanden, auf gangbare Art verringern lässt. Eventuell ergeben sich ja daraus auch Chancen, das berühmte "hedonische Nutzererlebnis" aller NutzerInnen zu verbessern, gelungenen Beispiele wären hier die "einfache Sprache" und die Eingabehilfen, die mittlerweile in allen Computer-Betriebssystemen mehr oder weniger vorhanden sind. Im Folgenden habe ich stichwortartig versucht, mich den Fragen zu nähern und verschiedene Aspekte zu ordnen. Diese Stichworte können auch als "lose Enden" verstanden werden, an denen sich eine Diskussion anknüpfen lässt. Also:

  • Welche technikferne Gruppen kann ich identifizieren?
    • "Defizit"-Gruppen
      • Arme
      • Alte
      • Menschen mit Behinderung
      • PROBLEM: Teilhabe, Barriere
    • "Privileg"-Gruppen
      • Delegierer (Manager, ProfessorInnen, ...)
      • Technikignoranten
      • Technik-nur-Nutzer
      • PROBLEM: Entscheidungsbefugnis mit aus Technikferne bedingten Konsequenzen, Technik-Unmündigkeit
    • "Intention"-Gruppen
      • Elektrosensible
      • Technikverweigerer
      • PROBLEM: Ubiquität elektrobasierter Technik, Gruppendruck


Vielleicht lässt sich das auch in ein Vierfelder-Schema bringen, dessen Achsen durch "können" und "wollen" gebildet werden:

will will nicht
kann technikaffin technikfern (1)
kann nicht technikfern (2) technikfern (3)

Am wenigsten Probleme hat hier wohl die Diagonale aus "technikaffin" und "technikfern (3)", der Fall "will, aber kann nicht" (technikfern (2)) ist tragisch für die Person, der Fall "kann, aber will nicht" (technikfern (1)) ist eher tragisch für andere.

Insgesamt ergeben sich aber aus dem Themenfeld Technikferne noch viel mehr Fragen, die betrachtet und diskutiert werden könnten:

  • Ist es schlimm, sich als "technikfern" zu bezeichnen?
  • Was hilft, über (ungewollte) Technikferne hinwegzukommen?
  • Was hat es mit dem "knowledge gap" auf sich zwischen technikliteraten und technikfernen Nutzern? ("Technikferne" hier im Sinne eines "bewußtlosen, unmündigen" Technikgebrauchs)
  • Entsteht neues Herrschaftswissen?
  • Sind wir nicht alle in verschiedenen Bereichen technikfern?
  • Sind wir nicht durch die Technikdurchdringung des Alltags überfordert? Täte nicht "Technikferne" deshalb manchmal ganz gut?
  • Ist "Technikferne" nicht relativ, wenn uns die Technik immer näher kommt? (vom Rechner vor dem Körper über das Smartphone beim Körper zu den Wearables am Körper bis zu Sensoren/Sonden im Körper)
  • Welche gesellschaftlichen Tendenzen bauen Druck auf technikferne Menschen auf? (T. am Arbeitsplatz, T. als Erreichbarkeitsmittel, T. in der Freizeit, T. als Gruppenkommunikationsmittel, T. als Distinktionsmittel)


Auf die Diskussionen und Ergebnisse bin ich sehr gespannt!'


Positionspapiere zur AG 3

Alle TeilnehmerInnen an Arbeitsgruppen sollen im Vorfeld der MMK ein Positionspapier zum gewählten Arbeitsgruppenthema verfassen und

  • an die Veranstalterin schicken (mmktagung@outlook.de)

oder

  • ins Wiki der MMK (AG1) uploaden (Login nach Registrierung).


Positionspapiere

Positionspapier von Rolf Todesco

Technikfern ist ein etwas eigentümliches Wort. Doro meint damit offenbar Menschen, die mit Computer nicht so gut umgehen können, wie es ihr Alltag eigentlich erfordern würde. Meine Mutter hat weder einen Computer noch ein Telefon, das auch ein Computer wäre, weil es die gleiche Benutzerschnittstelle hat. Meine Mutter hat also keine Probleme mit solcher Technik, aber sie hat natürlich Probleme damit, dass man ihr zumutet, unaufzählbar viele Dinge über das Internet abzuwickeln.

Ich selbst habe einen Computer und ein Telefon, das auch ein Computer ist. Dass ich die Logik des Samsungtelefons, das ich praktisch nur als Kamera benutze, nicht begreife, macht mich technikfern, aber - um mit Wolfgang zu sprechen - technikfern (3: will nicht/kann nicht oder brauchs nicht). Mein "Personal Computer" - das ist ein wunderbarer Name: Computer fürs Personal - ist ein ganz gewöhnliches Massenprodukt, das HP wohl in einem Billigland herstellen lässt und mit ganz vielen Programmen, ich weder will noch brauche und technikfernst gar nicht erkenne, vermarktet. Ich habe also viel Technik, die ich nicht verwenden kann und auch nicht verwenden will. Aber - und das wäre mein Einwand gegen das 4-Felder-Schema von Wolfgang - ich habe auch viele Programme, die ich aus verschiedenen Gründen verwenden MUSS. Es geht dabei nicht um wollen und können. Man mag einwenden, dass meine Mutter ja auch nicht muss, dass ich mich also selbst zwinge. Aber das hilft mir nicht, ich muss trotzdem.

Ich verwende MS-Windows 7 und die üblichen MS-Programme. Ich kann nicht erkennen, dass ich mit anderer Software viel besser bedient wäre. Aber die Programme, die ich verwende, sind für mich in vielen Hinsichten Rätsel. Ich mache damit sehr oft Dinge, die ich gar nicht will, weil ich nicht verstehe, wie sie funktionieren. Mit Hammer und Sichel bin ich auch nicht sehr geschickt. Vielleicht bin ich generell etwas technikfern?

Ich würde aber - als Mitglied der MMK-Gemeinschaft - den Spiess umdrehen. Ich glaube, die Technik ist sehr oft sehr fern von mir - und wohl auch von anderen Menschen, sonst würde es die MMK ja gar nicht geben. 1980 fand die erste MMK statt. Das Thema der Gründerjahre war: "(G)UI oder Wie kann man Computer für technikferne Menschen verwendbar machen". Das Thema der MMK hat sich im Laufe der 37 Jahre etwas ausgeweitet, ist aber im Kern dasselbe geblieben. Gut, die MMK befasst sich mittlerweile sogar mit Waschmaschien und derlei technischen Geräten, aber eigentlich hat sich die MMK immer mit nur mit jenem Aspekt der Technik befasst, der als Schnittstelle bezeichnet wird. Dass dabei für die Benutzung von Maschinen das Wort Kommunikation ausgesucht wurde, zeigt allenfalls, dass an jene spezifischen Maschinen gedacht wurde, die umgangssprachlich als Computer bezeichnet werden.

Im Wesentlichen hat sich die MMK immer mit Probleme befasst, die Geräte mit programmierbaren Prozessoren machen, die in einer Art sokratischem Dialog bedient werden wollen. Für normale Maschinen oder gar gewöhliche Werkzeuge hat sich die MMK kaum je interessiert. Die Computer waren immer etwas menschenferner als einfachere Werkzeuge. Ganz offensichtlich trifft das auf die ersten Computer zu.     Mark 1.png

Lange vor der ersten MMK erkannten die Konstrukteure der Computer, dass man technikfernen Menschen helfen musste. Die ersten bewusst beobachteten technikfernen Menschen waren die Programmierer, zu einer Zeit als es sie noch gar nicht gab. Die ersten Computer wurden von Elektroingenieuren

  • - also von techniknahen Menschen - durch physische Verkabelungen programmiert. In Bezug auf diese Tätigkeiten waren nur sehr wenige Menschen nicht technikfern. Man hat Programmiersprachen geschaffen, damit Menschen programmieren können, die von der Technik keine Ahnung haben. Man hat dabei den Steuerungsmechanismus des Prozessors so konstruiert, dass die Programme als lesbare Texte erscheinen.

In einer naheliegenden Metaphorik versteht dann der Prozessor, was ihm quasisprachlich mitgeteilt wird. Von der Reduktion des Programmieraufwandes durch Programmiersprachen, welche IBM mit Fortran anstrebte, dürfte ein wesentlicher Anteil darin bestehen, dass die Programmierer, die dem Computer Befehle geben, praktisch nichts vom Computer wissen müssen. Was es alles zu wissen gäbe, erläutert N.Wirth anhand des vermeintlich einfachen Beispiels, wie die Position eines Objektes im Computer darzustellen ist. Das Problemchen wäre in modernen Computer ohne Programmiersprachen gewaltig. ”Deshalb kann von einem Programmierer kaum verlangt werden, dass er über die zu verwendende Zahlendarstellung oder gar über die Eigenschaften der Speichervorrichtung entscheidet. (...) In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Programmiersprachen offensichtlich - es geht darum technikfernen Menschen den Umgang mit Technik möglich zu machen (von ökonomischen Interessen dahinter, will ich hier absehen).

Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass Menschen so technikfern gehalten werden. Technik ist nie ein Schulfach geworden, nicht einmal das technikferne Programmieren ist in der Schule angekommen.

Das Konzept "Prozessorsprache" hat zwei Ebenen, die Programmier- und die Kommandosprache. Wer schon etwas länger einen PC verwendet, erinnert sich an den DOS-Prompt c>:, der als sprachliche Aufforderung interpretiert werden kann, einen auch sprachlichen Befehl einzugeben. Auch die aktuellen Windowsversionen kennen dieses Verfahren unter "Ausführen" immer noch. Die Kommandosprache richtet sich nicht an (nur) Programmierer, sondern an Menschen, die den Computer beispielsweise als Rechner oder als Schreibmaschine verwenden wollen. Und natürlich sind Formulare am Bildschirm auch irgendwie dialogisch. Deshalb wurden Computer mit Bildschirmen dann Dialogcomputer genannt.

Entscheidend ist aber, dass die Verwendung von Computern nicht nur für Programmierer, sondern auch für die Masse der sogenannten technikfernen Anwender einfacher wurde. Allerdings gibt es dabei zwei Vergleiche. Ich kann als Anwender, der einen Brief schreiben will, einen Computer mit einer Schreibmaschine vergleichen oder ich kann zwei verschiedene Computer vergleichen, wobei ich beispielsweise MS-Dos und Windows 3.1 vergleichen kann.

1973 - also immer noch Jahre vor der ersten MMK - entwickelte PARC den Xerox Alto, den ersten Computer mit grafischer Benutzeroberfläche (GUI) und Maus und liess ihn sich von Hippies wie B. Gates und S. Jobs oder von Mitarbeitern wie R. Metcalfe (3Com) klauen. Es dauerte aber bis 1984, bis sich der Mac als erstes Massenprodukt zeigt, und Windows liess bis 1990 auf sich warten, weil davor ein passender Prozessor fehlte. Die MMK war mit ihrer Problematisierung der Schnittstelle also wenigstens dem Markt voraus. Die MMK forderte aber immer einfache Schnittstellen, die intuitiv begreifbar sind, also technikferne Anwender unterstützen.

Soviel zur Geschichte. Und jetzt zu den Folgen.

Fortsetzung folgt