AG3 MMK 2017: Unterschied zwischen den Versionen

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Positionspapiere von GruppenteilnehmerInnen bitte unten einfügen oder verlinken
 
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<h3>Moderationspapier von Doro</h3>
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Technikferne User sind Menschen, die bei der Lösung einfacher Aufgaben wie Drucken, Öffnen von Dateien oder Installation von Apps auf dem Smartphone zumindest manchmal Hilfe benötigen.
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Technikferne User finden sich in allen Bevölkerungsgruppen, und sind besonders häufig unter
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* SeniorInnen
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* Hausfrauen
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* bildungsfernen Menschen
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Viele technikferne User sind finanzstark.
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<p>Das mentale Modell vieler technikferner Menschen vom Internet ist beispielsweise das einer riesigen Enzyklopädie. Das hat verständlicherweise Auswirkungen, beispielsweise auf die Bewertung von Informationen. Fachbegriffe, natürlich auch englische, stellen für viele eine Hürde dar. Dadurch werden schwer verstehbare Unterschiede wie beispielsweise zwischen Browser und Suchmaschine oder Suchmaschine und Internet zusätzlich verschleiert.</p>
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<p>Viele technikferne User sind darüber hinaus ungeübt im Handling von digitalen Medien, und tun sich schwer, kleine Buttoms zu treffen, mit Drag & Drop Elemente an einen anderen Ort zu ziehen, oder mit einer Smartphone-Tastatur Eingaben zu machen.</p>
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<p>Wie es dennoch möglich ist, Websites und Apps auch für technikferne User verständlich zu gestalten, das ist Thema des ZIMD. In jüngster Zeit wurden solche Theman in den Projekten <a href="http://www.mobiseniora.at" target="_blank">MobiseniorA</a> und <a href="http://www.zimd.at/gut-guideline-checklist" target="_blank">GUT</a> erforscht und bearbeitet.</p>
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<h4>DAU und TAU</h4>
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<p>Usability-Experts fokussieren in ihrer Arbeit gerne auf technikaffine Menschen, und gehen auch meist davon aus, dass das seine Berechtigung hat. Denn in der Wirtschaft sind ja auch sehr viele mehr oder weniger technikaffine Menschen, und vor allem sind diese *sichtbarer*.</p>
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<p>Dahinter steckt kein Zufall, sondern die so genannte I-Methodology (vgl. Corinna Bath, 2009): Technologische Entwicklungen in Europa werden von relativ homogenen Teams aus Männern mittleren Alters dominiert, was dazu führt, dass vor allem die Bedürfnisse und Anforderungen dieser Gruppe berücksichtigt werden und andere KundInnengruppen vernachlässigt werden. (vgl. Joost, Bessing & Buchmüller et al., 2010).</p>
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<p> Dies hat ernste Konsequenzen:
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<i>„It decreases the innovative power and inventiveness because of missing opponent, ambiguous or even conflicting viewpoints. It increases the pitfalls of „I-methodologies“ which means that the producers‘ as-sumptions become more or less consciously the leading benchmarks for technological developments instead of real users‘ needs and demands.“</i> (Buchmüller, Joost, Bessing & Stein et al., 2011, S. 744)</p>
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<p>Diese I-Methodology bewirkt also, dass EntwicklerInnen auf Ihresgleichen fokussieren und davon ausgehen, dass die meisten anderen NutzerInnen ähnliche Bedürfnisse und Anforderungen haben, wie sie selbst. Immer noch höre ich des öfteren abwertende Worte, wie „Manche User sind sooo dumm!!!“ (aufgeschnappt 2017 (!)). Und nicht zufällig gibt es den Begriff des „Dümmsten anzunehmenden Users“. Auch dieser dumme User sollte es checken, klar, aber auf ihn ausgerichtet wird das Design sicher nicht.</p>
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<p>Was, wenn dieser User gar nicht so dumm wäre, sondern einfach andere Erfahrungen gemacht hätte in seinem Leben. Weniger mit Computer zu tun gehabt hätte, keine Erfahrungen, auf die er zurück greifen kann: Deshalb ist er/sie noch lange nicht dumm.
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Ich schlage vor, einmal den TAU als Randerscheinung zu begreifen, den DAU etwas wertschätzender als TFU – Technikfernen User zu benennen und letzteren etwas mehr in den Fokus zu rücken. Denn wenn Software für technikferne Menschen gut funktioniert, kommen auch technikaffine Menschen damit leichter in den Flow – das konnte im Projekt MobiseniorA eindeutig gezeigt werden.</p>
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'''Positionspapiere zur AG 3'''
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<h1>Positionspapiere</h1>
  
 
Alle TeilnehmerInnen an Arbeitsgruppen sollen im Vorfeld der MMK ein Positionspapier zum gewählten Arbeitsgruppenthema verfassen und
 
Alle TeilnehmerInnen an Arbeitsgruppen sollen im Vorfeld der MMK ein Positionspapier zum gewählten Arbeitsgruppenthema verfassen und
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<h1>Positionspapiere</h1>
 
  
 
<h3>Positionspapier von Rolf Todesco</h3>
 
<h3>Positionspapier von Rolf Todesco</h3>
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Technikfern ist ein etwas eigentümliches Wort. Doro meint damit offenbar Menschen, die mit Computer nicht so gut umgehen können, wie es ihr Alltag eigentlich erfordern würde. Meine Mutter hat weder einen Computer noch ein Telefon, das auch ein Computer wäre, weil es die gleiche Benutzerschnittstelle hat. Meine Mutter hat also keine Probleme mit solcher Technik, aber sie hat natürlich Probleme damit, dass man ihr zumutet, unaufzählbar viele Dinge über das Internet abzuwickeln.
 
Technikfern ist ein etwas eigentümliches Wort. Doro meint damit offenbar Menschen, die mit Computer nicht so gut umgehen können, wie es ihr Alltag eigentlich erfordern würde. Meine Mutter hat weder einen Computer noch ein Telefon, das auch ein Computer wäre, weil es die gleiche Benutzerschnittstelle hat. Meine Mutter hat also keine Probleme mit solcher Technik, aber sie hat natürlich Probleme damit, dass man ihr zumutet, unaufzählbar viele Dinge über das Internet abzuwickeln.
  
Ich selbst habe einen Computer und ein Telefon, das auch ein Computer ist. Dass ich die Logik des Samsungtelefons, das ich praktisch nur als Kamera benutze, nicht begreife, macht mich technikfern, aber - um mit Wolfgang zu sprechen - technikfern (3: will nicht/kann nicht oder brauchs nicht). Mein "Personal Computer" -  das ist ein wunderbarer Name: Computer fürs Personal - ist ein ganz gewöhnliches Massenprodukt, das HP wohl in einem Billigland herstellen lässt und mit ganz vielen Programmen, ich weder will noch brauche und technikfernst gar nicht erkenne, vermarktet. Ich habe also viel Technik, die ich nicht verwenden kann und auch nicht verwenden will. Aber - und das wäre mein Einwand gegen das 4-Felder-Schema von Wolfgang - ich habe auch viele Programme, die ich aus verschiedenen Gründen verwenden MUSS. Es geht dabei nicht um wollen und können. Man mag einwenden, dass meine Mutter ja auch nicht muss, dass ich mich also selbst zwinge. Aber das hilft mir nicht, ich muss trotzdem.
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Ich selbst habe einen Computer und ein Telefon, das auch ein Computer ist. Dass ich die Logik des  
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Samsungtelefons, das ich praktisch nur als Kamera benutze, nicht begreife, macht mich technikfern, aber - um mit Wolfgang zu sprechen - technikfern (3: will nicht/kann nicht oder brauchs nicht). Mein "Personal Computer" -  das ist ein wunderbarer Name: Computer fürs Personal - ist ein ganz gewöhnliches Massenprodukt, das HP wohl in einem Billigland herstellen lässt und mit ganz vielen Programmen, ich weder will noch brauche und technikfernst gar nicht erkenne, vermarktet. Ich habe also viel Technik, die ich nicht verwenden kann und auch nicht verwenden will. Aber - und das wäre mein Einwand gegen das 4-Felder-Schema von Wolfgang - ich habe auch viele Programme, die ich aus verschiedenen Gründen verwenden MUSS. Es geht dabei nicht um wollen und können. Man mag einwenden, dass meine Mutter ja auch nicht muss, dass ich mich also selbst zwinge. Aber das hilft mir nicht, ich muss trotzdem.
  
 
Ich verwende MS-Windows 7 und die üblichen MS-Programme. Ich kann nicht erkennen, dass ich mit anderer Software viel besser bedient wäre. Aber die Programme, die ich verwende, sind für mich in vielen Hinsichten Rätsel. Ich mache damit sehr oft Dinge, die ich gar nicht will, weil ich nicht verstehe, wie sie funktionieren. Mit Hammer und Sichel bin ich auch nicht sehr geschickt. Vielleicht bin ich generell etwas technikfern?
 
Ich verwende MS-Windows 7 und die üblichen MS-Programme. Ich kann nicht erkennen, dass ich mit anderer Software viel besser bedient wäre. Aber die Programme, die ich verwende, sind für mich in vielen Hinsichten Rätsel. Ich mache damit sehr oft Dinge, die ich gar nicht will, weil ich nicht verstehe, wie sie funktionieren. Mit Hammer und Sichel bin ich auch nicht sehr geschickt. Vielleicht bin ich generell etwas technikfern?
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Lange vor der ersten MMK erkannten die Konstrukteure der Computer, dass man technikfernen Menschen helfen musste. Die ersten bewusst beobachteten technikfernen Menschen waren die Programmierer, zu einer Zeit als es sie noch gar nicht gab. Die ersten Computer wurden von Elektroingenieuren durch physische Verkabelungen programmiert. In Bezug auf diese Tätigkeiten waren nur sehr wenige Menschen nicht technikfern. Man hat Programmiersprachen geschaffen, damit Menschen programmieren konnten, die von der Technik keine Ahnung hatten.
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Lange vor der ersten MMK erkannten die Konstrukteure der Computer, dass man technikfernen Menschen helfen musste. Die ersten bewusst beobachteten technikfernen Menschen waren die Programmierer, zu einer Zeit als es sie noch gar nicht gab. Die ersten Computer wurden von Elektroingenieuren  
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*- also von techniknahen Menschen - durch physische Verkabelungen programmiert. In Bezug auf diese Tätigkeiten waren nur sehr wenige Menschen nicht technikfern. Man hat Programmiersprachen geschaffen, damit Menschen programmieren können, die von der Technik keine Ahnung haben. Man hat dabei den Steuerungsmechanismus des Prozessors so konstruiert, dass die Programme als lesbare Texte erscheinen.
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In einer naheliegenden Metaphorik versteht dann der Prozessor, was ihm quasisprachlich mitgeteilt wird. Von der Reduktion des Programmieraufwandes durch Programmiersprachen, welche IBM mit Fortran anstrebte, dürfte ein wesentlicher Anteil darin bestehen, dass die Programmierer, die dem Computer Befehle geben, praktisch nichts vom Computer wissen müssen. Was es alles zu wissen gäbe, erläutert N.Wirth anhand des vermeintlich einfachen Beispiels, wie die Position eines Objektes im Computer darzustellen ist. Das Problemchen wäre in modernen Computer ohne Programmiersprachen gewaltig. ”Deshalb kann von einem Programmierer kaum verlangt werden, dass er über die zu verwendende Zahlendarstellung oder gar über die Eigenschaften der Speichervorrichtung entscheidet. (...) In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Programmiersprachen offensichtlich - es geht darum technikfernen Menschen den Umgang mit Technik möglich zu machen (von ökonomischen Interessen dahinter, will ich hier absehen).
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Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass Menschen so technikfern gehalten werden. Technik ist nie ein Schulfach geworden, nicht einmal das technikferne Programmieren ist in der Schule angekommen.
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Das Konzept "Prozessorsprache" hat zwei Ebenen, die Programmier- und die Kommandosprache. Wer schon etwas länger einen PC verwendet, erinnert sich an den  DOS-Prompt c>:, der als sprachliche Aufforderung interpretiert werden kann, einen auch sprachlichen Befehl einzugeben. Auch die aktuellen Windowsversionen kennen dieses Verfahren unter "Ausführen" immer noch. Die Kommandosprache richtet sich nicht an (nur) Programmierer, sondern an Menschen, die den Computer beispielsweise als Rechner oder als Schreibmaschine verwenden wollen. Und natürlich sind Formulare am Bildschirm auch irgendwie dialogisch. Deshalb wurden Computer mit Bildschirmen dann Dialogcomputer genannt.
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Entscheidend ist aber, dass die Verwendung von Computern nicht nur für Programmierer, sondern auch für die Masse der sogenannten technikfernen Anwender einfacher wurde. Allerdings gibt es dabei zwei Vergleiche. Ich kann als Anwender, der einen Brief schreiben will, einen Computer mit einer Schreibmaschine vergleichen oder ich kann zwei verschiedene Computer vergleichen, wobei ich beispielsweise MS-Dos und Windows 3.1 vergleichen kann.
  
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1973 - also immer noch Jahre vor der ersten MMK - entwickelte PARC den Xerox Alto, den ersten Computer mit grafischer Benutzeroberfläche (GUI) und Maus und liess ihn sich von Hippies wie B. Gates und S. Jobs oder von Mitarbeitern wie R. Metcalfe (3Com) klauen. Es dauerte aber bis 1984, bis sich der Mac als erstes Massenprodukt zeigt, und Windows liess bis 1990 auf sich warten, weil davor ein passender Prozessor fehlte. Die MMK war mit ihrer Problematisierung der Schnittstelle also wenigstens dem Markt voraus. Die MMK forderte aber immer einfache Schnittstellen, die intuitiv begreifbar sind, also technikferne Anwender unterstützen.
  
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Soviel zur Geschichte. Und jetzt zu den Folgen.
  
 
Fortsetzung folgt
 
Fortsetzung folgt
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<h3>Positionspapier von Gunter Dubrau</h3>
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Für mich steht derzeit die Umgestaltung von Arbeitsprozessen durch Redesign existierender Softwareanwendungen im Mittelpunkt meines Interesses. Mir geht es dabei nicht um Senioren, Behinderte und ähnlich spezielle Nutzergruppen, sondern um den Arbeitnehmer, der täglich mit dem Computer, speziell mittels Computer gesteuerter Maschinen, arbeiten muss.<br>
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These 1: Menschen, die an computergesteuerten Maschinen arbeiten, können „technikferne User“ eben dieser Maschinen sein.<br>
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These 2: Menschen können sich nur in ihrer Freizeit, also im privatem Umfeld, dafür entscheiden, „technikfern“ zu sein. Im Arbeitsprozess können sie es nicht.<br>
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These 3: Unbemerkt zur Gewohnheit gewordene Techniken werden nicht mehr als solche wahrgenommen. "Technikfern" bedeutet also nicht die Nicht-Nutzung von Technik im Alltag.<br>
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These 4: Technikferne User computergesteuerter Maschinen erleben eine interaktive Parallelwelt, deren Auswirkungen unklar sind.<br>
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=== Positionspapier von Rene Hoffmann ===
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Zum aufkommen des Begriffs Technikfernen User (TAU) habe ich fünf Thesen und über dessen Diskussion ich mich freue:
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* Grundrecht auf analoge Lebensweise.
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* Jeder ist in der heutigen Zeit ein partieller TAU.
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* Der Begriff TAU zeigt ein kritisches Problem unserer Usability-Zunft.
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* Die Forschung zum TAU zeigt den Stillstand bei den GUI-Framework auf.
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* Positiver Lösungsansatz statt neue "Accessibility-Randgruppe".
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==== Grundrecht auf Analoge Lebensweise ====
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Der Begriff „Technikferner User (TAU)“ passt zum heutigen Zeitgeist. In Bücher wie „Analog ist das neue Bio" von Andre Wilkens wird es anschaulich und unterhaltsam in allen Facetten beschrieben.
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Es gibt sicherlich Menschen die aufgrund ihrer Fähigkeiten „geborene TAU's“ sind, aber bei der großen Mehrheit ist es eine freiwillige und vernünftige Entscheidung zu bestimmten Gebieten sich selbst als partiellen TAU einzustufen.
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Das verhält sich so ähnlich bei den früheren aggressiven Zeitgeist das jeder Mensch sein Geld an der Börse anlegen sollte und auf die „Sparbuch-User“ in der Presse eine regelrechte Hetzjagd eröffnet wurde. Seit dem Bördencrash 2007 hat sich der Ton in den Medien gedreht: Wenn Du ein Finanzprodukt nicht verstehst, dann lass die Finger davon.
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Bei den IT-Produkten gab es den "Snowden-Crash" mit der aufgezeigt wurde es auch intelligent sein kann nicht alles digital abzuwickeln. Wünschenswert wäre ein Grundrecht auf analoge Lebensweise. Das Bundesverfassungsgericht wird dies sicherlich früher oder später aus dem Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung ableiten, so ist damals das Grundrecht auf Datenschutz in Deutschland entstanden.
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Der Begriff TAU zwingt dem Leser eine Mangelperspektive auf ohne Reflexion ob das für diese Zielgruppe wirklich ein Mangel darstellt. Ebenfalls verneint der Begriff TAU alternative Lebensentwürfe und unterwirft sich unreflektiert der totalen Digitalen Transformation.
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==== Jeder ist in der heutigen Zeit ein TAU partiell ====
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Top-Moderne GUI haben viele unsichtbare Buttons. Wer die Wisch-Geste nicht kennt der sieht auch keine auswählbaren Funktion am Display seines Smartphones. Ebenso gibt es inzwischen viele Top-Moderne Weboberflächen die um besonders elegant und aufgeräumt sich zu präsentieren die Funktionen verstecken. Oft werden Buttons erst sichtbar, wenn man mit der Maus in den Bereich reingeht oder auf einer Touchoberfläche einen bestimmten Bereich markiert. Es gibt aber keine visuelle Codierung, dass dieses Objekt interaktiv ist und nicht nur eine Grafik.
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Wie löst ein sogenannter technik-affiner Benutzer solche Benutzungsprobleme? Als erstes informiert er sich proaktiv durch das tägliche lesen von IT-News. Als zweites schaut er proaktiv Keynotes von Apple und Google an, weil da zum Beispiel die neusten Wisch-Gesten gezeigt werden an Stellen wo diese vorher nicht benutzbar waren. Und natürlich merkt sich so ein News-Leser was es alles an tollen Funktionen gibt, weil erst mit dem Wissen das es Funktion X oder X auch bei diesem Programm / Webseite geben sollte, hat man eine Idee wonach man am Bildschirm suchen kann.
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Menschen suchen nach Stabilität.
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Das Problem liegt in der Öffentlichkeitsarbeit. Das Neue gilt als schick wie bei der Mode und es dauert lange bis auch die Vorteile alter bewährte Lösungen wertgeschätzt werden - meist erst wenn es Retro-Hipp sein kann. Retro setzt voraus, dass eine Lösung mindestens eine Generation unverändert überstanden hat also mindestens 25 Jahre.
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==== Der Begriff TAU zeigt ein kritisches Problem unserer Usability-Zunft ====
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Im Moderationspapier heißt es „Usability-Experts fokussieren in ihrer Arbeit gerne auf technikaffine Menschen“. Das ist eine unpräzise Beobachtung. Es gibt in unserer Zunft auch verschiedene Biographien — die einen haben ein Konfliktverständnis aus Ingenieur/Psychologie nach Gebrauchstauglichkeit, Nutzungskontext und zugehörigen Benutzer(gruppen) — andere haben ein Verständnis aus Marketingsicht und versuchen so viele Abkürzungen nehmen zu können wie möglich um ihren Auftraggeberverständnis auch im vorauseilenden Gehorsam überzuerfüllen.
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Das übrigens Usability-Tests oft nur technikaffine Benutzer abdecken hat in der Realität auch eine Ursache in der aktuellen Normung der ISO 9241. Dort wird viel definiert, aber keine Usability-Prüfung standardisiert.
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Ich selber habe mit Dr. Dirk Fischer die letzte vier Jahre an einen neuen Normungsantrag gearbeitet in der angeregt durch Dirk Fischer erstmalig Fertigkeitsstufen, Schwierigkeitsgrad, Barrierefreiheitsgrad und weitere Dimensionen in einer Matrix standardisiert werden. Der Normungsantrag ist in Deutschland zur Zeit nur bedingt anschlussfähig.
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Wenn man in Detaildiskussionen einsteigt, dann gibt es immer ganz krude Diskussionen. Nach 2-3 Stunden stellt sich dann immer heraus, dass auch die Marketing-affinen Usability-Experten so etwas wie Fertigkeitsstufen und Schwierigkeitsgrad durchaus kennen, aber im Drang ständig eine Abkürzung im Vorgehen zu erlangen mehr ein intuitives Vorgehen bevorzugen, bei der dann nicht dokumentiert wie der Zuschnitt der einzelnen Nutzungskontexte vorgenommen wurde. Dazu gibt es dann immer sehr unterhaltsame kreative Herleitungstechniken zu hören bei der es dann am wenn man hart nachfragt am Ende nur Erfahrungswissen aus früheren Projekten übrig bleibt.
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Der Ahnungslose Auftraggeber bekommt davon nichts mit, weil Festlegungen die nicht dokumentiert werden, bieten ihm auch keinen Anhaltspunkt das kritisch zu hinterfragen wieso am Test nur Experten teilgenommen oder warum nur eine Mini-Einsteiger-Aufgabe XY von Anfängern und es keine Aufgabe für Fortgeschrittene getestet wurde, obwohl wenn ein Anfänger nach 20x nutzen automatisch gewisse neue Varianten aufkommen für die dann gewisse Parameter oder andere Listendarstellungen erforderlich werden - die aber einen anderen Abstraktionsgrad haben müssen als für einen Experten. Aber diese Varianten werden oft nur von Experten getestet, weil dann spart man sich eine Benutzergruppe und hat alle Funktionen effizient geprüft.
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Zum zweiten stellte sich in den Diskussionen in den Gremien heraus, das da auch noch Unwissenheit in der Versuchsplanung gibt. Wenn ich ein Programm in drei Fertigkeitsstufen testen will, dann muss ich nicht 3 x 10 Testbenutzer zusammenholen, es geht auch eleganter und zielgerichteter, wenn man Entscheidungen dokumentieren und mit dem Auftraggeber auch transparent darstellen kann. Die Auftraggeber glauben oft dass alle Zielgruppen getestet wurden.
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Über die Jahre gab es Tipps wie man Normungsanträge trotz Marketing-affin durchsetzte Gremien durchbekommen könnte. Die Hinweise begannen mit das man Wörter wie Konzept und Methode meiden sollte, weil das macht einen Norm sehr Ingenieurmäßig kurz und knapp und lässt wenig Interpretationsspielraum. In der aktuellen Normung zur ISO 9242 gibt es überwiegend Aufzählungs-Inhalte und die Normen werden immer länger. Gewisse Revisonen wie die ISO 9242-11 werden international komplett abgelehnt, weil immer mehr dazugepackt werden soll anstatt gewisse Dinge zu ordnen.
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Wenn der Designer und Entwickler weiß nach welchen Konzepten er später systematisch geprüft wird, dann wird das auch berücksichtigt. Dazu müssen keine Spiegelstriche auswendiggelernt werden oder Checklisten geprüft werden. Das war die Erfahrung aus dem alten DAkkS Usability-Leitfaden. Die dort formulierten Prinzipien sind später in die ISO Normung eingeflossen. Die Revision des DAkkS Usability-Leitfaden nach 15 Jahren Praxis der Anwendung ist bisher nicht veröffentlicht, weil DAkkS keine Veröffentlichungen mehr vornimmt und ein neues Organ erst gefunden werden muss.
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==== Die Forschung zum TAU zeigt den Stillstand bei den GUI-Framework auf ====
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Grundsätzlich muss kritisiert werden, dass die Entwicklung von sogenannten Controls, also Benutzerinteraktionselemente wie Button und Eingabefelder, seit 1985 kaum weiterentwickelt haben. Auch die Weboberflächen haben im Prinzip eine dynamische Oberflächen-Erzeugung, aber diese Möglichkeiten werden kaum genutzt und wurden nicht weiterentwickelt. An der UseLib von Dirk Fischer bei denen ich an einigen Tests teilnehme sieht man erst im Vergleich welches Potenzial da brach liegt. Viele hier beschrieben Probleme des TAU kommen aus einem GUI-Framework, dass immer nur genau für eine Benutzergruppe optimal ist.
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==== Positiver Lösungsansatz statt neue "Accessibility-Randgruppe" ====
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Auf den ersten Blick erscheint es ein guter Ansatz eine weitere Accessbility-Gruppe zu definieren und ihr einen eigenen Namen zu geben, so dass es über die Methode Persona in Schnelltests und Schnellanalysen einsetzbar ist.
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Vor Jahrzehnten hatten wir so einen ähnlichen Fall mit den Rollstuhlfahrer in öffentlichen Gebäuden. Da kam die Forderung auf, dass jedes Gebäude einen Fahrstuhl und Rampen aufzuweisen hat. Inzwischen wissen wir, dass der Fahrstuhl und die Rampe sind auch für viele andere Menschengruppe praktisch ist. Selbst kerngesunde Menschen benötigen Rampen wenn sie bspw. einen Kinderwagen benutzen oder umziehen.
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Kurzum eine gute ergonomische Lösung löst viele Probleme aus ganz vielen Anlässen und damit kommt eine ganz andere Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit über Randgruppen ist immer schwierig zu argumentieren. Besser sind Lösungsansätze die Randgruppe und Mitte gemeinsam abdecken. Üblicherweise wird hierzu der Begriff "Komfort" verwendet.
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<h1>Rückblick / Resultate</h1>
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[[Rückblick Technikferne User | ein kleiner Bericht]]

Aktuelle Version vom 15. Januar 2018, 12:24 Uhr

MMK Home - Die Tagung - Programmablauf - Die AGs - Anmeldungen - Schlussbericht - Ausblick


AG3 - Technikferne User - ein Tabu?

Moderation: Dorothea Erharter, Wolfgang Harst

Positionspapiere von GruppenteilnehmerInnen bitte unten einfügen oder verlinken

Moderationspapier von Doro

Technikferne User sind Menschen, die bei der Lösung einfacher Aufgaben wie Drucken, Öffnen von Dateien oder Installation von Apps auf dem Smartphone zumindest manchmal Hilfe benötigen. Technikferne User finden sich in allen Bevölkerungsgruppen, und sind besonders häufig unter

  • SeniorInnen
  • Hausfrauen
  • bildungsfernen Menschen

Viele technikferne User sind finanzstark.

Das mentale Modell vieler technikferner Menschen vom Internet ist beispielsweise das einer riesigen Enzyklopädie. Das hat verständlicherweise Auswirkungen, beispielsweise auf die Bewertung von Informationen. Fachbegriffe, natürlich auch englische, stellen für viele eine Hürde dar. Dadurch werden schwer verstehbare Unterschiede wie beispielsweise zwischen Browser und Suchmaschine oder Suchmaschine und Internet zusätzlich verschleiert.

Viele technikferne User sind darüber hinaus ungeübt im Handling von digitalen Medien, und tun sich schwer, kleine Buttoms zu treffen, mit Drag & Drop Elemente an einen anderen Ort zu ziehen, oder mit einer Smartphone-Tastatur Eingaben zu machen.

Wie es dennoch möglich ist, Websites und Apps auch für technikferne User verständlich zu gestalten, das ist Thema des ZIMD. In jüngster Zeit wurden solche Theman in den Projekten <a href="http://www.mobiseniora.at" target="_blank">MobiseniorA</a> und <a href="http://www.zimd.at/gut-guideline-checklist" target="_blank">GUT</a> erforscht und bearbeitet.

DAU und TAU

Usability-Experts fokussieren in ihrer Arbeit gerne auf technikaffine Menschen, und gehen auch meist davon aus, dass das seine Berechtigung hat. Denn in der Wirtschaft sind ja auch sehr viele mehr oder weniger technikaffine Menschen, und vor allem sind diese *sichtbarer*.

Dahinter steckt kein Zufall, sondern die so genannte I-Methodology (vgl. Corinna Bath, 2009): Technologische Entwicklungen in Europa werden von relativ homogenen Teams aus Männern mittleren Alters dominiert, was dazu führt, dass vor allem die Bedürfnisse und Anforderungen dieser Gruppe berücksichtigt werden und andere KundInnengruppen vernachlässigt werden. (vgl. Joost, Bessing & Buchmüller et al., 2010).

Dies hat ernste Konsequenzen: „It decreases the innovative power and inventiveness because of missing opponent, ambiguous or even conflicting viewpoints. It increases the pitfalls of „I-methodologies“ which means that the producers‘ as-sumptions become more or less consciously the leading benchmarks for technological developments instead of real users‘ needs and demands.“ (Buchmüller, Joost, Bessing & Stein et al., 2011, S. 744)

Diese I-Methodology bewirkt also, dass EntwicklerInnen auf Ihresgleichen fokussieren und davon ausgehen, dass die meisten anderen NutzerInnen ähnliche Bedürfnisse und Anforderungen haben, wie sie selbst. Immer noch höre ich des öfteren abwertende Worte, wie „Manche User sind sooo dumm!!!“ (aufgeschnappt 2017 (!)). Und nicht zufällig gibt es den Begriff des „Dümmsten anzunehmenden Users“. Auch dieser dumme User sollte es checken, klar, aber auf ihn ausgerichtet wird das Design sicher nicht.

Was, wenn dieser User gar nicht so dumm wäre, sondern einfach andere Erfahrungen gemacht hätte in seinem Leben. Weniger mit Computer zu tun gehabt hätte, keine Erfahrungen, auf die er zurück greifen kann: Deshalb ist er/sie noch lange nicht dumm. Ich schlage vor, einmal den TAU als Randerscheinung zu begreifen, den DAU etwas wertschätzender als TFU – Technikfernen User zu benennen und letzteren etwas mehr in den Fokus zu rücken. Denn wenn Software für technikferne Menschen gut funktioniert, kommen auch technikaffine Menschen damit leichter in den Flow – das konnte im Projekt MobiseniorA eindeutig gezeigt werden.



Moderationspapier von Wolfgang

Gedanken zum Thema "Technikferne User - ein Tabu"?

Bei meinen verschiedenen Tätigkeiten habe und hatte ich immer wieder mit Menschen zu tun, die ich als "technikfern" bezeichnen könnte. Mich interessiert jetzt, ob ich da verschiedene Gruppen ausmachen kann, ob und wie ein Leidensdruck mit der Technikferne verbunden ist und wie der sich, so vorhanden, auf gangbare Art verringern lässt. Eventuell ergeben sich ja daraus auch Chancen, das berühmte "hedonische Nutzererlebnis" aller NutzerInnen zu verbessern, gelungenen Beispiele wären hier die "einfache Sprache" und die Eingabehilfen, die mittlerweile in allen Computer-Betriebssystemen mehr oder weniger vorhanden sind. Im Folgenden habe ich stichwortartig versucht, mich den Fragen zu nähern und verschiedene Aspekte zu ordnen. Diese Stichworte können auch als "lose Enden" verstanden werden, an denen sich eine Diskussion anknüpfen lässt. Also:

  • Welche technikferne Gruppen kann ich identifizieren?
    • "Defizit"-Gruppen
      • Arme
      • Alte
      • Menschen mit Behinderung
      • PROBLEM: Teilhabe, Barriere
    • "Privileg"-Gruppen
      • Delegierer (Manager, ProfessorInnen, ...)
      • Technikignoranten
      • Technik-nur-Nutzer
      • PROBLEM: Entscheidungsbefugnis mit aus Technikferne bedingten Konsequenzen, Technik-Unmündigkeit
    • "Intention"-Gruppen
      • Elektrosensible
      • Technikverweigerer
      • PROBLEM: Ubiquität elektrobasierter Technik, Gruppendruck


Vielleicht lässt sich das auch in ein Vierfelder-Schema bringen, dessen Achsen durch "können" und "wollen" gebildet werden:

will will nicht
kann technikaffin technikfern (1)
kann nicht technikfern (2) technikfern (3)

Am wenigsten Probleme hat hier wohl die Diagonale aus "technikaffin" und "technikfern (3)", der Fall "will, aber kann nicht" (technikfern (2)) ist tragisch für die Person, der Fall "kann, aber will nicht" (technikfern (1)) ist eher tragisch für andere.

Insgesamt ergeben sich aber aus dem Themenfeld Technikferne noch viel mehr Fragen, die betrachtet und diskutiert werden könnten:

  • Ist es schlimm, sich als "technikfern" zu bezeichnen?
  • Was hilft, über (ungewollte) Technikferne hinwegzukommen?
  • Was hat es mit dem "knowledge gap" auf sich zwischen technikliteraten und technikfernen Nutzern? ("Technikferne" hier im Sinne eines "bewußtlosen, unmündigen" Technikgebrauchs)
  • Entsteht neues Herrschaftswissen?
  • Sind wir nicht alle in verschiedenen Bereichen technikfern?
  • Sind wir nicht durch die Technikdurchdringung des Alltags überfordert? Täte nicht "Technikferne" deshalb manchmal ganz gut?
  • Ist "Technikferne" nicht relativ, wenn uns die Technik immer näher kommt? (vom Rechner vor dem Körper über das Smartphone beim Körper zu den Wearables am Körper bis zu Sensoren/Sonden im Körper)
  • Welche gesellschaftlichen Tendenzen bauen Druck auf technikferne Menschen auf? (T. am Arbeitsplatz, T. als Erreichbarkeitsmittel, T. in der Freizeit, T. als Gruppenkommunikationsmittel, T. als Distinktionsmittel)


Auf die Diskussionen und Ergebnisse bin ich sehr gespannt!'


Positionspapiere

Alle TeilnehmerInnen an Arbeitsgruppen sollen im Vorfeld der MMK ein Positionspapier zum gewählten Arbeitsgruppenthema verfassen und

  • an die Veranstalterin schicken (mmktagung@outlook.de)

oder

  • ins Wiki der MMK (AG1) uploaden (Login nach Registrierung).


Positionspapier von Rolf Todesco

Technikfern ist ein etwas eigentümliches Wort. Doro meint damit offenbar Menschen, die mit Computer nicht so gut umgehen können, wie es ihr Alltag eigentlich erfordern würde. Meine Mutter hat weder einen Computer noch ein Telefon, das auch ein Computer wäre, weil es die gleiche Benutzerschnittstelle hat. Meine Mutter hat also keine Probleme mit solcher Technik, aber sie hat natürlich Probleme damit, dass man ihr zumutet, unaufzählbar viele Dinge über das Internet abzuwickeln.

Ich selbst habe einen Computer und ein Telefon, das auch ein Computer ist. Dass ich die Logik des Samsungtelefons, das ich praktisch nur als Kamera benutze, nicht begreife, macht mich technikfern, aber - um mit Wolfgang zu sprechen - technikfern (3: will nicht/kann nicht oder brauchs nicht). Mein "Personal Computer" - das ist ein wunderbarer Name: Computer fürs Personal - ist ein ganz gewöhnliches Massenprodukt, das HP wohl in einem Billigland herstellen lässt und mit ganz vielen Programmen, ich weder will noch brauche und technikfernst gar nicht erkenne, vermarktet. Ich habe also viel Technik, die ich nicht verwenden kann und auch nicht verwenden will. Aber - und das wäre mein Einwand gegen das 4-Felder-Schema von Wolfgang - ich habe auch viele Programme, die ich aus verschiedenen Gründen verwenden MUSS. Es geht dabei nicht um wollen und können. Man mag einwenden, dass meine Mutter ja auch nicht muss, dass ich mich also selbst zwinge. Aber das hilft mir nicht, ich muss trotzdem.

Ich verwende MS-Windows 7 und die üblichen MS-Programme. Ich kann nicht erkennen, dass ich mit anderer Software viel besser bedient wäre. Aber die Programme, die ich verwende, sind für mich in vielen Hinsichten Rätsel. Ich mache damit sehr oft Dinge, die ich gar nicht will, weil ich nicht verstehe, wie sie funktionieren. Mit Hammer und Sichel bin ich auch nicht sehr geschickt. Vielleicht bin ich generell etwas technikfern?

Ich würde aber - als Mitglied der MMK-Gemeinschaft - den Spiess umdrehen. Ich glaube, die Technik ist sehr oft sehr fern von mir - und wohl auch von anderen Menschen, sonst würde es die MMK ja gar nicht geben. 1980 fand die erste MMK statt. Das Thema der Gründerjahre war: "(G)UI oder Wie kann man Computer für technikferne Menschen verwendbar machen". Das Thema der MMK hat sich im Laufe der 37 Jahre etwas ausgeweitet, ist aber im Kern dasselbe geblieben. Gut, die MMK befasst sich mittlerweile sogar mit Waschmaschien und derlei technischen Geräten, aber eigentlich hat sich die MMK immer mit nur mit jenem Aspekt der Technik befasst, der als Schnittstelle bezeichnet wird. Dass dabei für die Benutzung von Maschinen das Wort Kommunikation ausgesucht wurde, zeigt allenfalls, dass an jene spezifischen Maschinen gedacht wurde, die umgangssprachlich als Computer bezeichnet werden.

Im Wesentlichen hat sich die MMK immer mit Probleme befasst, die Geräte mit programmierbaren Prozessoren machen, die in einer Art sokratischem Dialog bedient werden wollen. Für normale Maschinen oder gar gewöhliche Werkzeuge hat sich die MMK kaum je interessiert. Die Computer waren immer etwas menschenferner als einfachere Werkzeuge. Ganz offensichtlich trifft das auf die ersten Computer zu.     Mark 1.png

Lange vor der ersten MMK erkannten die Konstrukteure der Computer, dass man technikfernen Menschen helfen musste. Die ersten bewusst beobachteten technikfernen Menschen waren die Programmierer, zu einer Zeit als es sie noch gar nicht gab. Die ersten Computer wurden von Elektroingenieuren

  • - also von techniknahen Menschen - durch physische Verkabelungen programmiert. In Bezug auf diese Tätigkeiten waren nur sehr wenige Menschen nicht technikfern. Man hat Programmiersprachen geschaffen, damit Menschen programmieren können, die von der Technik keine Ahnung haben. Man hat dabei den Steuerungsmechanismus des Prozessors so konstruiert, dass die Programme als lesbare Texte erscheinen.

In einer naheliegenden Metaphorik versteht dann der Prozessor, was ihm quasisprachlich mitgeteilt wird. Von der Reduktion des Programmieraufwandes durch Programmiersprachen, welche IBM mit Fortran anstrebte, dürfte ein wesentlicher Anteil darin bestehen, dass die Programmierer, die dem Computer Befehle geben, praktisch nichts vom Computer wissen müssen. Was es alles zu wissen gäbe, erläutert N.Wirth anhand des vermeintlich einfachen Beispiels, wie die Position eines Objektes im Computer darzustellen ist. Das Problemchen wäre in modernen Computer ohne Programmiersprachen gewaltig. ”Deshalb kann von einem Programmierer kaum verlangt werden, dass er über die zu verwendende Zahlendarstellung oder gar über die Eigenschaften der Speichervorrichtung entscheidet. (...) In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Programmiersprachen offensichtlich - es geht darum technikfernen Menschen den Umgang mit Technik möglich zu machen (von ökonomischen Interessen dahinter, will ich hier absehen).

Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass Menschen so technikfern gehalten werden. Technik ist nie ein Schulfach geworden, nicht einmal das technikferne Programmieren ist in der Schule angekommen.

Das Konzept "Prozessorsprache" hat zwei Ebenen, die Programmier- und die Kommandosprache. Wer schon etwas länger einen PC verwendet, erinnert sich an den DOS-Prompt c>:, der als sprachliche Aufforderung interpretiert werden kann, einen auch sprachlichen Befehl einzugeben. Auch die aktuellen Windowsversionen kennen dieses Verfahren unter "Ausführen" immer noch. Die Kommandosprache richtet sich nicht an (nur) Programmierer, sondern an Menschen, die den Computer beispielsweise als Rechner oder als Schreibmaschine verwenden wollen. Und natürlich sind Formulare am Bildschirm auch irgendwie dialogisch. Deshalb wurden Computer mit Bildschirmen dann Dialogcomputer genannt.

Entscheidend ist aber, dass die Verwendung von Computern nicht nur für Programmierer, sondern auch für die Masse der sogenannten technikfernen Anwender einfacher wurde. Allerdings gibt es dabei zwei Vergleiche. Ich kann als Anwender, der einen Brief schreiben will, einen Computer mit einer Schreibmaschine vergleichen oder ich kann zwei verschiedene Computer vergleichen, wobei ich beispielsweise MS-Dos und Windows 3.1 vergleichen kann.

1973 - also immer noch Jahre vor der ersten MMK - entwickelte PARC den Xerox Alto, den ersten Computer mit grafischer Benutzeroberfläche (GUI) und Maus und liess ihn sich von Hippies wie B. Gates und S. Jobs oder von Mitarbeitern wie R. Metcalfe (3Com) klauen. Es dauerte aber bis 1984, bis sich der Mac als erstes Massenprodukt zeigt, und Windows liess bis 1990 auf sich warten, weil davor ein passender Prozessor fehlte. Die MMK war mit ihrer Problematisierung der Schnittstelle also wenigstens dem Markt voraus. Die MMK forderte aber immer einfache Schnittstellen, die intuitiv begreifbar sind, also technikferne Anwender unterstützen.

Soviel zur Geschichte. Und jetzt zu den Folgen.

Fortsetzung folgt


Positionspapier von Gunter Dubrau

Für mich steht derzeit die Umgestaltung von Arbeitsprozessen durch Redesign existierender Softwareanwendungen im Mittelpunkt meines Interesses. Mir geht es dabei nicht um Senioren, Behinderte und ähnlich spezielle Nutzergruppen, sondern um den Arbeitnehmer, der täglich mit dem Computer, speziell mittels Computer gesteuerter Maschinen, arbeiten muss.

These 1: Menschen, die an computergesteuerten Maschinen arbeiten, können „technikferne User“ eben dieser Maschinen sein.

These 2: Menschen können sich nur in ihrer Freizeit, also im privatem Umfeld, dafür entscheiden, „technikfern“ zu sein. Im Arbeitsprozess können sie es nicht.

These 3: Unbemerkt zur Gewohnheit gewordene Techniken werden nicht mehr als solche wahrgenommen. "Technikfern" bedeutet also nicht die Nicht-Nutzung von Technik im Alltag.

These 4: Technikferne User computergesteuerter Maschinen erleben eine interaktive Parallelwelt, deren Auswirkungen unklar sind.


Positionspapier von Rene Hoffmann

Zum aufkommen des Begriffs Technikfernen User (TAU) habe ich fünf Thesen und über dessen Diskussion ich mich freue:

  • Grundrecht auf analoge Lebensweise.
  • Jeder ist in der heutigen Zeit ein partieller TAU.
  • Der Begriff TAU zeigt ein kritisches Problem unserer Usability-Zunft.
  • Die Forschung zum TAU zeigt den Stillstand bei den GUI-Framework auf.
  • Positiver Lösungsansatz statt neue "Accessibility-Randgruppe".

Grundrecht auf Analoge Lebensweise

Der Begriff „Technikferner User (TAU)“ passt zum heutigen Zeitgeist. In Bücher wie „Analog ist das neue Bio" von Andre Wilkens wird es anschaulich und unterhaltsam in allen Facetten beschrieben. Es gibt sicherlich Menschen die aufgrund ihrer Fähigkeiten „geborene TAU's“ sind, aber bei der großen Mehrheit ist es eine freiwillige und vernünftige Entscheidung zu bestimmten Gebieten sich selbst als partiellen TAU einzustufen. Das verhält sich so ähnlich bei den früheren aggressiven Zeitgeist das jeder Mensch sein Geld an der Börse anlegen sollte und auf die „Sparbuch-User“ in der Presse eine regelrechte Hetzjagd eröffnet wurde. Seit dem Bördencrash 2007 hat sich der Ton in den Medien gedreht: Wenn Du ein Finanzprodukt nicht verstehst, dann lass die Finger davon. Bei den IT-Produkten gab es den "Snowden-Crash" mit der aufgezeigt wurde es auch intelligent sein kann nicht alles digital abzuwickeln. Wünschenswert wäre ein Grundrecht auf analoge Lebensweise. Das Bundesverfassungsgericht wird dies sicherlich früher oder später aus dem Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung ableiten, so ist damals das Grundrecht auf Datenschutz in Deutschland entstanden. Der Begriff TAU zwingt dem Leser eine Mangelperspektive auf ohne Reflexion ob das für diese Zielgruppe wirklich ein Mangel darstellt. Ebenfalls verneint der Begriff TAU alternative Lebensentwürfe und unterwirft sich unreflektiert der totalen Digitalen Transformation.

Jeder ist in der heutigen Zeit ein TAU partiell

Top-Moderne GUI haben viele unsichtbare Buttons. Wer die Wisch-Geste nicht kennt der sieht auch keine auswählbaren Funktion am Display seines Smartphones. Ebenso gibt es inzwischen viele Top-Moderne Weboberflächen die um besonders elegant und aufgeräumt sich zu präsentieren die Funktionen verstecken. Oft werden Buttons erst sichtbar, wenn man mit der Maus in den Bereich reingeht oder auf einer Touchoberfläche einen bestimmten Bereich markiert. Es gibt aber keine visuelle Codierung, dass dieses Objekt interaktiv ist und nicht nur eine Grafik. Wie löst ein sogenannter technik-affiner Benutzer solche Benutzungsprobleme? Als erstes informiert er sich proaktiv durch das tägliche lesen von IT-News. Als zweites schaut er proaktiv Keynotes von Apple und Google an, weil da zum Beispiel die neusten Wisch-Gesten gezeigt werden an Stellen wo diese vorher nicht benutzbar waren. Und natürlich merkt sich so ein News-Leser was es alles an tollen Funktionen gibt, weil erst mit dem Wissen das es Funktion X oder X auch bei diesem Programm / Webseite geben sollte, hat man eine Idee wonach man am Bildschirm suchen kann. Menschen suchen nach Stabilität. Das Problem liegt in der Öffentlichkeitsarbeit. Das Neue gilt als schick wie bei der Mode und es dauert lange bis auch die Vorteile alter bewährte Lösungen wertgeschätzt werden - meist erst wenn es Retro-Hipp sein kann. Retro setzt voraus, dass eine Lösung mindestens eine Generation unverändert überstanden hat also mindestens 25 Jahre.

Der Begriff TAU zeigt ein kritisches Problem unserer Usability-Zunft

Im Moderationspapier heißt es „Usability-Experts fokussieren in ihrer Arbeit gerne auf technikaffine Menschen“. Das ist eine unpräzise Beobachtung. Es gibt in unserer Zunft auch verschiedene Biographien — die einen haben ein Konfliktverständnis aus Ingenieur/Psychologie nach Gebrauchstauglichkeit, Nutzungskontext und zugehörigen Benutzer(gruppen) — andere haben ein Verständnis aus Marketingsicht und versuchen so viele Abkürzungen nehmen zu können wie möglich um ihren Auftraggeberverständnis auch im vorauseilenden Gehorsam überzuerfüllen. Das übrigens Usability-Tests oft nur technikaffine Benutzer abdecken hat in der Realität auch eine Ursache in der aktuellen Normung der ISO 9241. Dort wird viel definiert, aber keine Usability-Prüfung standardisiert. Ich selber habe mit Dr. Dirk Fischer die letzte vier Jahre an einen neuen Normungsantrag gearbeitet in der angeregt durch Dirk Fischer erstmalig Fertigkeitsstufen, Schwierigkeitsgrad, Barrierefreiheitsgrad und weitere Dimensionen in einer Matrix standardisiert werden. Der Normungsantrag ist in Deutschland zur Zeit nur bedingt anschlussfähig. Wenn man in Detaildiskussionen einsteigt, dann gibt es immer ganz krude Diskussionen. Nach 2-3 Stunden stellt sich dann immer heraus, dass auch die Marketing-affinen Usability-Experten so etwas wie Fertigkeitsstufen und Schwierigkeitsgrad durchaus kennen, aber im Drang ständig eine Abkürzung im Vorgehen zu erlangen mehr ein intuitives Vorgehen bevorzugen, bei der dann nicht dokumentiert wie der Zuschnitt der einzelnen Nutzungskontexte vorgenommen wurde. Dazu gibt es dann immer sehr unterhaltsame kreative Herleitungstechniken zu hören bei der es dann am wenn man hart nachfragt am Ende nur Erfahrungswissen aus früheren Projekten übrig bleibt.

Der Ahnungslose Auftraggeber bekommt davon nichts mit, weil Festlegungen die nicht dokumentiert werden, bieten ihm auch keinen Anhaltspunkt das kritisch zu hinterfragen wieso am Test nur Experten teilgenommen oder warum nur eine Mini-Einsteiger-Aufgabe XY von Anfängern und es keine Aufgabe für Fortgeschrittene getestet wurde, obwohl wenn ein Anfänger nach 20x nutzen automatisch gewisse neue Varianten aufkommen für die dann gewisse Parameter oder andere Listendarstellungen erforderlich werden - die aber einen anderen Abstraktionsgrad haben müssen als für einen Experten. Aber diese Varianten werden oft nur von Experten getestet, weil dann spart man sich eine Benutzergruppe und hat alle Funktionen effizient geprüft. Zum zweiten stellte sich in den Diskussionen in den Gremien heraus, das da auch noch Unwissenheit in der Versuchsplanung gibt. Wenn ich ein Programm in drei Fertigkeitsstufen testen will, dann muss ich nicht 3 x 10 Testbenutzer zusammenholen, es geht auch eleganter und zielgerichteter, wenn man Entscheidungen dokumentieren und mit dem Auftraggeber auch transparent darstellen kann. Die Auftraggeber glauben oft dass alle Zielgruppen getestet wurden. Über die Jahre gab es Tipps wie man Normungsanträge trotz Marketing-affin durchsetzte Gremien durchbekommen könnte. Die Hinweise begannen mit das man Wörter wie Konzept und Methode meiden sollte, weil das macht einen Norm sehr Ingenieurmäßig kurz und knapp und lässt wenig Interpretationsspielraum. In der aktuellen Normung zur ISO 9242 gibt es überwiegend Aufzählungs-Inhalte und die Normen werden immer länger. Gewisse Revisonen wie die ISO 9242-11 werden international komplett abgelehnt, weil immer mehr dazugepackt werden soll anstatt gewisse Dinge zu ordnen. Wenn der Designer und Entwickler weiß nach welchen Konzepten er später systematisch geprüft wird, dann wird das auch berücksichtigt. Dazu müssen keine Spiegelstriche auswendiggelernt werden oder Checklisten geprüft werden. Das war die Erfahrung aus dem alten DAkkS Usability-Leitfaden. Die dort formulierten Prinzipien sind später in die ISO Normung eingeflossen. Die Revision des DAkkS Usability-Leitfaden nach 15 Jahren Praxis der Anwendung ist bisher nicht veröffentlicht, weil DAkkS keine Veröffentlichungen mehr vornimmt und ein neues Organ erst gefunden werden muss.

Die Forschung zum TAU zeigt den Stillstand bei den GUI-Framework auf

Grundsätzlich muss kritisiert werden, dass die Entwicklung von sogenannten Controls, also Benutzerinteraktionselemente wie Button und Eingabefelder, seit 1985 kaum weiterentwickelt haben. Auch die Weboberflächen haben im Prinzip eine dynamische Oberflächen-Erzeugung, aber diese Möglichkeiten werden kaum genutzt und wurden nicht weiterentwickelt. An der UseLib von Dirk Fischer bei denen ich an einigen Tests teilnehme sieht man erst im Vergleich welches Potenzial da brach liegt. Viele hier beschrieben Probleme des TAU kommen aus einem GUI-Framework, dass immer nur genau für eine Benutzergruppe optimal ist.

Positiver Lösungsansatz statt neue "Accessibility-Randgruppe"

Auf den ersten Blick erscheint es ein guter Ansatz eine weitere Accessbility-Gruppe zu definieren und ihr einen eigenen Namen zu geben, so dass es über die Methode Persona in Schnelltests und Schnellanalysen einsetzbar ist. Vor Jahrzehnten hatten wir so einen ähnlichen Fall mit den Rollstuhlfahrer in öffentlichen Gebäuden. Da kam die Forderung auf, dass jedes Gebäude einen Fahrstuhl und Rampen aufzuweisen hat. Inzwischen wissen wir, dass der Fahrstuhl und die Rampe sind auch für viele andere Menschengruppe praktisch ist. Selbst kerngesunde Menschen benötigen Rampen wenn sie bspw. einen Kinderwagen benutzen oder umziehen. Kurzum eine gute ergonomische Lösung löst viele Probleme aus ganz vielen Anlässen und damit kommt eine ganz andere Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit über Randgruppen ist immer schwierig zu argumentieren. Besser sind Lösungsansätze die Randgruppe und Mitte gemeinsam abdecken. Üblicherweise wird hierzu der Begriff "Komfort" verwendet.

Rückblick / Resultate

ein kleiner Bericht