AG2 MMK 2013

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33. Tagung
Mensch-Maschine-Kommunikation 2013
  Interdisziplinäre Tagung

15.-18. November 2013
Bad Honnef

 
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ThesenpapiereAG2

Lord Snow: 2 Welten
Menschenbilder und Gegenstände der MMK


Moderation: Rolf Todesco

Moderationspapier

Vorwort: Rückblick auf die MMK

Die MMK wurde 1980 ins Leben gerufen, weil durch den Computer zwei Kulturen aufeinander prallten, die sich zuvor besser aus dem Weg gehen konnten: eine technische und eine ... nicht ganz so technische Kultur. Letztere hat im Verlauf der MMK verschiedene Namen getragen. Ich will sie vorerst mal mit "arbeitspsychlogisch begründetem Dialog-Design" bezeichnen, obwohl es in der Rekonstruktion natürlich darum geht, diese Kultur besser zu begreifen.

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Auf der einen Seite standen am Anfang Ingenieure, die elektrische Maschinen konstruierten, deren Nutzungsbereich sie bei weitem nicht antizipierten. Kolportiert wird, dass der Gründer von IBM, Thomas Watson, noch 1943 sagte, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gebe. Aber auch 1980 wusste noch kaum jemand, wie Computer die Welt erobern. Keine PCs, und sowieso kein Internet waren im Bewusstsein. Computer waren wie Waschmaschinen oder Autos technische Geräte, die von Ingenieuren entwickelt und dann den Benutzern verkauft wurden. Der Ausdruck Computer spricht Bände darüber, als was er gedacht war.

Aber Computer - um bei diesem Ausdruck zu bleiben - sind eigenartige Maschinen, sie involvieren ihren Benutzer viel stärker als andere einfachere Geräte. Man hat dafür den Ausdruck Software erfunden. Software sind weiche Maschinen, die sich im Prinzip beliebig entfalten können, weil sie nicht auf einen spezifischen Zweck festgelegt sind. Immer mehr Leute reklamierten , dass sie in die Entwicklung dieser Maschinen nicht hinreichend einbezogen werden. Schon an der ersten MMK 1980 bezeichneten sich einige der Ingenieure als Informatiker um etwas Abstand von der elektrischen Maschine zu signalisieren. Aber anfangs waren die Techniker noch unter sich - und natürlich ein bisschen stolz darauf, dass sie eine Avantgarde bildeten, die sich mit Bedienungsfreundlichkeiten befassten. Aber immer mehr Leute, die keine Ingenieure waren, kamen an die MMK. Aber nicht nur an die MMK, sondern in die IT-Arbeitswelt überhaupt. Schliesslich wurde die Informatik als Disziplin insgesamt medienhaft, so dass sich auch die Ingenieure zunehmend mehr als Kommunikationsfachleute begriffen. Zwei vermeintlich getrennte Kulturen waren zu einer Kultur verschmolzen, es gab kaum mehr gegenseitige Befruchtungen, zumal die Xerox-Oberflächen von Apple und MS quasi Alltag wurden und keinerlei weiterer Entwicklung bedurften, was sich mir darin zeigt, dass sich mein aktueller PC kaum vom Windows 3.1 (1985 Windows 1-1990 Windows 3) unterscheidet.

Etwas Bewegung in die MMK brachte dann ab 1995 kurzzeitig das Internet, weil es dem alltäglichen Verständnis von Kommunikation etwas näher kam als der PC allein (at home), aber die MMK merkte rasch, dass sich bezüglich der Gestaltung kaum mehr Neuland zeigte. Wirklich neu war am Internet die von Facebook ausgeschlachtete Art der Kommunikation, aber in Bezug auf Benutzungsorientierung brachte dass WWW keine neuen Erfordernisse. Eine letzte Welle der MMK beendete dann das iPhone, dass dem Touchscreen und allerlei Tabletten zum Durchbruch verhalf und der MMK auch noch das grundsätzlich Gerätedesign - mal von Brillen abgesehen - weggenommen hat.

In gewisser Weise brauchen die Ingenieure, die zu Informationsfachleuten mutiert sind, jedenfalls solange sie sich nur um Kommunikationstechnologie kümmern, keine Gespräche und schon gar keine Beratung mehr. In diesem Sinn ist die MMK für sie obsolet geworden, weil dort nur noch eine, ihre eigene, nun "IT-mediale" Kultur zu treffen war.


Die Dialektik zweier Welten

Die Vorstellung, dass Kultur sich in Differenzen zwischen getrennten Kulturträgern entwickelt, mag eine sexuelle Metapher sein. Auf die Wissenschaft bezogen brachte C. Snow die These von zwei sich befruchtenden Kulturen 1959 in einem berühmt gewordenen Vortrag ins Spiel. Dramaturgisch hat C. Snow zuerst eine große Kluft zwischen den Kulturen der Geisteswissenschaft und der Literatur einerseits und der Naturwissenschaft und der Technik andererseits beschrieben. Er konstatierte eine tiefe Krise, in welcher sich die beiden Kulturen durch ihre Spezialisierungen ganz fremd geworden sind. Dann aber sah er eine dritte Kultur, die aus der Kommunikation der beiden erstgenannten Kulturen - sozusagen als Ausgang der Krise - entstehen könnte: eine Technologie, die sich um Inhalte kümmert, die mittels der Technologie verfügbar werden. Rückblickend können wir natürlich leicht annehmen, dass C. Snow die Kybernetik und deren universellen Anspruch im Auge hatte.

Zunächst war und ist der von C. Snow beschworene Graben tief: die einen verstehen die Hauptsätze der Thermodynamik und können mit Differentialgleichungen umgehen, die andern eben nicht. Das sind schlechte Voraussetzungen für Gespräche - aber eigentlich nur für naturwissenschaftliche und rein technische Gespräche. Die mathematischen Thermodynamiker spielen in der Technik sicher eine wichtige Rolle, aber sie bleiben dort quasi unter sich. Für die Gestaltung und die Verwendung von "Medien" spielen Physik und Differentialgleichungen keine Rolle.

C. Snow schreibt den Geisteswissenschaftlern eine pessimistische, der Vergangenheit zugewandte und „im tieferen Sinne antiintellektuelle“ Geisteshaltung zu, der eine vorausblickende, optimistische Naturwissenschaft gegenüber stehe. Pessimistisch würde man sagen, dass die naturwissenschaftlich gedachte Technik von einem Machbarkeitswahn erfüllt war, der sich in grenzenlos gedachtem Wachstum äusserte. Die zwei Kulturen, die C. Snow entdeckt hat, finde ich nicht (mehr) so wichtig, wie seine Idee, Sprachprobleme durch getrennte Kulturen zu begreifen. In diesem Sinne werden Kulturen zu Begrenzungen, die Dialog be- oder verhindern. In jeder Kultur kann ich mich fragen, welche Glaubenssätze das Fundament bilden, und was sie ausschliessen. Das kann ich natürlich innerhalb einer Kultur leisten, aber leichter fällt es mir, Differenzen zwischen Kulturen zu sehen.


Medien-Design als Kultur - oder die MMK als Medien-Design-Veranstaltung

Design ist weder eine Natur- noch eine Geisteswissenschaft, also nicht analytisch, sondern eher ein Engineering, ein Herstellen. Im Medien-Design sind die Kulturen, die sich anfänglich an der MMK gegenübergestanden haben, vereint. Die MMK ist gewissermassen zu eine Design-Veranstaltung geworden, wobei Design sich zunehmend weniger auf Maschinen und deren Oberflächen oder Gui-Schnittstellen bezog, nachdem eine zeitlang Designe durchaus als Kunst am Computer verstanden wurde. Das Design verschob sich von der Maschine auf die Kommunikation, natürwüchsigerweise auf Kommunikationen, bei welchen die Computer eine Rolle spielen. E-learnig wurde ein Lieblingsthema der MMK, wobei es meistens viel mehr um Design-Kritik als um positive Beiträge zum e-learning ging.


Thesen und Progamm zur AG 2

Meine Moderations-These lautet: Der MMK fehlt die 2. Kultur.

Die ursprüngliche MMK wollte praktische Vorschläge zur Gestaltung der Mensch-Maschine-Kommunikation erabeiten. Das hat sie ab 1980 auch getan, aber sie wurde von Windows und den Internetkonzernen in dieser Angelegenheit überrolt. Gleichwohl ist die MMK entstanden, weil sich die Ingenieure einer zweiten Kultur zugewandt haben.

Die aktuelle MMK befasst sich mit Design von IT-Verwendungssituationen, also nicht mehr mit dem Design von Dingern wie Computern, weil das schon längst erledigt ist. Leider scheint auch das Design von Verwendungssituationen ausgeschöpft. Neben Windows und iPhone haben sich Amazone, Facebook und Wikipedia gestellt. Viel mehr an Verwendungen geht da nicht. Das ganze e-learning erscheint als Abklatsch von Facebook mit vermeintlich "höherem Content". Eine zweite Linie verfolgte die MMK etwas halbherziger, das sind IT-Organisations-Verknüpfungen. Aber auch da ist schon fast alles Wasser schon im Meer.



Umdeutung der MMK - Generierung einer zweiten Kultur

Moderationsthese 2: Die Entwicklung der Technik dient der Entwicklung der Technologie.

Ich unterscheide Technik und Technologie. Als Techno-Logie bezeichne ich die begriffliche Darstellung der Technik, insbesondere der Artefakte, die in der Technik eingesetzt werden. Im hier verwendeten Sinn bezieht sich Technologie auf den Diskurs, der sich als "funktionales System" verselbständigt hat, also keine Mittelfunktion für die Technik mehr hat. Technologie ist unser begriffliches Wissen schlechthin. Wir betreiben die Entwicklung der Artefakte, um unser Begreifen zu entwickeln. Wenn der Sinn der Technik etwa wäre, den materiellen Wohlstand der Menschen zu verbessern, hätte die Technik bisher durchwegs versagt: Absolut und relativ verhungern oder verslummen immer mehr Menschen auf der Erde. Aber unser technisches Wissen wird immer umfassender.

Moderationsthese 3: Kybernetik (oder deutscher Systemtheorie) ist kulturell fundamental

Die Systemlehre von L. von Bertalanffy war biologisch gemeint. L. von Bertalanffy hat sich immer gegen die technische Kybernetik gewehrt. Beim Biologen H. Maturana hat sich das Verhältnis insofern gedreht, als er sagt, dass seine Biologie Ausdruck seiner Denkweise sei. Nun könnte man in Analogie zu L. von Bertalanffy meinen, dass die Technologie anstelle der Biologie unser Denken bestimme. Ich würde aber eher mit H. Maturana argumentieren und sagen, dass unsere Technik wie unsere Biologie Ausdruck unseres technologischen Denkens sei.

Die Kybernetik war als universelle Wissenschaft gedacht. Ich weiss nicht, was universell in diesem Kontext bedeutet. Aber Kybernetik ist sicher kulturell fundamental. Man kann sie nicht neben anderen Theorien sehen.


Moderationsthese 4: Kybernetisches (oder deutscher systemtheoretisches) Denken entspricht einer zweiten Kultur.

Gemeinhin wird angenommen (was eben L. von Bertalanffy immer behauptet hat), dass Systemtheorie verallgemeinerte Technologie darstelle, also technisches Wissen verallgemeinere und projiziere. Wenn das der Fall wäre, wäre Kybernetik natürlich keine zweite Kultur zur Technik. Es geht nicht um biotechnisches oder soziotechnisches Denken, also nicht darum, irgendwelche soziotechnische Systeme zu realisieren. Es geht darum, dem eigenen Denken auf die Spur zu reflexiv kommen.

B. Franklin hat den Menschen als toolmaking animal charakterisiert. Das finde ich ein schönes Bild dafür, dass sich meine Intentionen und meine Entwicklung in Form einer Technologie zeigen und dass ich durch die Technik eine Sprache finde, mit welcher ich meine Rationalität darstellen kann.



Dialog

Wir untersuchen, wie wir über uns und unsere Umwelten sprechen und wo und wie wir dabei technologisch begründete Kategorien und Begriffe verwenden.

Wir untersuchen, welche Alternativen wir haben.

Und wir suchen dialektische Differenzen in unseren Begriffen, um zu erkennen, was wir wie erkennen.

Gut, das tönt so ziemlich filosofisch, aber ich kann mir sehr gut ganz praktische Frage im Sinne der traditionellen MMK vorstellen. Der Fahrkartenautomat ist an vielen MMKs als Design-Problem-Prototyp vorgekommen und soweit ich weiss, gibt es immer noch keinen Fahrkartenautomaten, den ich so benutzen könnte, dass ich in hinreichender Zeit eine hinreichend günstige und passende Fahrkarten bekommen könnte. Wie denken wir darüber nach?

Ich habe gerade ein Essay gelesen: Wahlen, Steuern, Fahrscheinautomaten – es ist ein Mythos, dass sich alles vereinfachen lässt. Manches, wie Politik (und eben Fahrkartenautomaten?), sollte kompliziert sein, sonst wird es ungerecht.

Wer schon mal auf der MMK war, weiss sicher beliebige andere Designprobleme, das e-learning hat uns schon viele beschert. Wir beobachten unser Denken, während wir solche Probleme beobachten.

Ich freue mich auf Kritik, Anregungen und Beispiele. Und wer die MMK noch nicht kennt, ist trotzdem herzlich eingeladen !! Ich gebe auch gerne Auskunft, jederzeit.

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